6. Aufgabe

Schmale, Wolfgang u. a., Die hohe Kunst des E-Learning: Das Bauen hypertextueller Gebilde. In: Dies., E-Learning Geschichte (Wien/Köln/Weimar 2007) 169-191.

Kein elektronisches Medium kann die Kommunikation von Angesicht von Angesicht ersetzen, wie sie auch in klassischen Präsenzlehrveranstaltungen im Idealfall gepflogen wird. Dennoch spricht auch in der Geschichtswissenschaft einiges für den Einsatz von Hypertext. Im Gegensatz zu einer Fußnote in einem gedruckten Werk führt ein Hyperlink tatsächlich zum referenzierten Objekt; der Hyperlink kann als Fußnote mit theoretisch unendlicher Ausdehnung verstanden werden. Dieser unbestrittene Vorteil kann allerdings dazu führen, daß der Ursprungstext aus den Augen verloren wird, weil zu viele Fäden verfolgt werden. Wem ist es nicht schon passiert, beim Lesen eines Wikipedia-Artikels viele Links zu weiteren Beiträgen geöffnet und dadurch den ursprünglich nachgeschlagenen gar nicht zu Ende gelesen zu haben und hat damit die eigentlich gesuchte Information nicht erhalten? Ebendies kann sich freilich auch fruchtbar auswirken. Das Zeitbudget spielt dabei sicher eine ganz wichtige Rolle – es ist völlig sinnlos, sich mit einem Hypertextnetzwerk unter Zeitdruck auseinanderzusetzen.
Wie das Sich-Verzetteln positiven Niederschlag finden kann und soll, beschreibt Roberto Minuti: „Forschungsergebnisse können sich so als stets offene Baustelle präsentieren, als eine sehr dicht aneinander gereihte Stätte neuer Versionen, Erweiterungen und Entwicklungen, so daß jeder Gedanke an ein Ende oder Abgeschlossenheit in den Hintergrund gedrängt wird.“ Damit in engem Zusammenhang steht auch der „Serendipity-Effekt“, das zufällige Entdecken von ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neu und interessant erweist.
Für den Einsatz von Hypertextnetzwerken nicht nur in der Geschichtswissenschaft, sondern in allen textzentrierten Disziplinen, spricht die Eignung für kollektive Produktionsprozesse. Wer schon öfter an kollektiven Produktionsprozessen teilhatte – worunter natürlich auch simple „Gruppenarbeiten“ wie gemeinsam zu erstellende Referate und schriftliche Arbeiten fallen – wird womöglich einwenden, daß die „Freiheit des Gelehrten“ bei dieser Art der Text- und Wissensproduktion eine erhebliche Einschränkung erfährt. Das ist insofern richtig, als die Konzeption eines Wissensraums nicht mehr einer einzigen Person obliegen kann und das Autorenkollektiv vor Kohärenzproblemen steht, die gelöst werden müssen. Allerdings: Je größer die Probleme, umso mehr Diskurs muß stattfinden, umso mehr kann man (auch als Einzelner) profitieren und lernen. Aus den nötigen Interaktionen zwischen den Schreibenden, die schon bei der Diskussion um die Bedeutungsvielfalt von Begriffen beginnt, ergibt sich eine weit intensivere Auseinandersetzung mit dem Prozeß des Schreibens als bei Einzelarbeiten. Jeder und jede einzelne ist gezwungen, nicht nur seine eigenen Gedankenstränge zu „Papier“ zu bringen, sondern muß fortwährend auf die Produktion der anderen achten und gegebenenfalls gegensteuern. In der Notwendigkeit, Konsistenz und Kohärenz herzustellen und die sich im Laufe der Gestaltung hoffentlich erweiternden Fähigkeit zur Strukturierung liegt einer der großen Gewinne, die sich aus hypertextbasierten Netzwerken ziehen lassen. Für das große Problem der mangelnden Dauerhaftigkeit zeichnet sich noch keine zufriedenstellende Lösung ab. Es ist (wie bei jeder Webseite) niemals gesichert, ob das Angebot auch in einigen Wochen oder gar Jahren noch zur Verfügung stehen wird. Des weiteren erfordern im Regelfall besonders Hypertexte eine ständige Internetanbindung. Wie ich aus eigener leidvoller Erfahrung weiß, ist noch nicht einmal in Mitteleuropa mobiler Internetzugang in akzeptabler Qualität verfügbar. Den beiden angesprochenen Einbußen bei der „Usability“ kann der Hypertext-Leser aber zumindest bei nicht übermäßig komplexer Seitenstruktur entgegenwirken, indem er (z. B. hiermit) eine vollständige Spiegelung von Hypertexten oder auch ganzer Netzwerke vornimmt, die damit nicht nur für Archivzwecke dauerhaft am eigenen Rechner gespeichert bleiben, sondern auch ihrer Hypertextfunktionen nicht beraubt werden.

M4 WS 2007

Ulrich Gatterbauer

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